Er ist so dünn und schmal, dass ich mich frage, wie er das überhaupt geschafft hat. Im Jahr 2010 ist er von Heilbronn in der Nähe von Stuttgart bis ins ferne Athen gerannt. Am Tag und in der Nacht.
Keeps going and going and going…. von Heilbronn bis nach Athen
Der Ultramarathonläufer Jürgen Mennel rennt und rennt und rennt. Wie der „Energizer“: keeps going and going and going… Bis heute hat der groß gewachsene, hagere Mann unfassbare 400.000 Kilometer in den Knochen, sein tägliches Laufpensum kann schon einmal einem Marathon entsprechen– täglich. Ist er verrückt? Ich glaube schon. Auf eine sehr ehrliche und grundgute Art und Weise.
Ich bin einer Einladung des Wirtschaftsclub Rhein-Main e.V. gefolgt und habe Jürgen Mennel live on stage erlebt. Er spricht unverkennbar schwäbisch, nicht für alle auf Anhieb so leicht zu verstehen. Sympathisch ist er, freundlich und irgendwie immer noch wie ein kleiner Junge, dem den Schalk im Nacken sitzt. Ein Übermensch ist er nicht, zumindest rückt er sich nicht in dieses Licht. Er ist der Jürgen. Jürgen ist 55 Jahre alt, hat drei Kinder und ist verheiratet. Er arbeitet mit körperlich und geistig behinderten Kindern. Wenn er nicht gerade rennt, denke ich.
Laufen tut er, seit er neun Jahre alt ist. Später wird er verraten, was seine Schwäche ist: Schokolade und alles, was süß ist. Und Grillabende, die liebt er auch, trotzdem ihre Inhalte das Laufen am nächsten Tag nicht unbedingt einfacher machen.
Seine Augen blitzen schelmisch, als sein Blick zum ersten Mal über die Menge schweift. Gute 50 Personen sitzen da erwartungsvoll zu seinen Füßen. So jemanden trifft man schließlich nicht alle Tage. Einige von ihnen sind selbst aktive Marathonläufer und wollen wissen, wie er trainiert. Andere waren einmal aktive Läufer oder haben es überhaupt nicht mit der Sportart, doch alle sind gleichermaßen fasziniert von seiner Leistung. Wie er da steht, leicht nach vorn gebeugt wie viele große Menschen, scheint die vergleichsweise riesige Bühne ihn beinah zu verschlucken.
Vom Marathon zum Ultramarathon
Mennel ist am 20. September 2010 anlässlich des 2.500 jährigen Jubiläums des Athen-Marathons am späten Nachmittag in Heilbronn mit großem Brimborium gestartet. Übrigens ohne Physiotherapeut.
Bei dem ersten Marathon der Geschichte im Jahr 490 v. Chr. soll laut Legende der Botenläufer Pheidippides nach der Schlacht bei Marathon nach Athen gelaufen und dann tragischerweise auf dem Aeropag nach Verkündung der Siegesnachricht vor Erschöpfung tot zusammengebrochen sein. Die damalige Streckenlänge lag bei etwa 40 Kilometern, erst später wurde sie auf 42,194 Kilometer festgelegt.
2.200 Kilometer in 30 Tagen. Zu Fuß.
Vor Mennel lagen also 51,1 Marathons, 2.200 Kilometer, die er in maximal einem Monat bewältigen wollte. 30 Tage, 720 Stunden, 43.200 Minuten. Er würde Tag und Nacht laufen, zwischen einer und vier Stunden schlafen, zwischendurch Essen und ansonsten auf den Beinen sein. Im Dauerlauf zwischen sieben und 18 Kilometer pro Stunde.
Er ist von Heilbronn nach Karlsruhe, von Karlsruhe nach Straßburg und von Straßburg nach Athen gelaufen. Zwischendrin gab es viele Städte, Dörfer, Straßen und jede Menge Landschaft. Nach 890 Kilometern erreichte er Rimini und war am Meer. Dort lernte eine Lektion fürs Leben. Abends beim Essen verschluckte er sich an einer Gräte und erstickte beinah daran. Die Gegner kämen oftmals von anderen Seiten, als man erwarten würde, sinniert er. Viele Dinge liefen ganz oft ganz anders als geplant – und seien trotzdem oder gerade deshalb wahnsinnig effektiv. Seine Erkenntnisse aus dem Leistungssport sind ohne Zweifel übertragbar auf viele andere Situationen im Leben.
Immer schön die Orientierung – und die Motivation – behalten
Immer wieder hat er sich zwischendrin selbst aufbauen müssen, eben weil nicht immer alles so glatt über die Bühne ging wie geplant. Seine Tagesform war nicht vorhersehbar. Welchen Takt brauchte er, wie war sein Biorythmus, wie die Rythmik, wie das Tempo? Er hatte zuvor 40 Jahre lang trainiert, und doch gab es auf diesem Ultramarathon ständig neue Erkenntnisse. Als Sportler wollte er nicht nur ankommen, er wollte seine Zeit halten, sich immer wieder zu neuen Leistungsspitzen antreiben.
Es gab triste Abschnitte, er wurde von Hunden verfolgt und hatte vor allem nicht mit den extremen Wetterschwankungen am Meer gerechnet. Mal knallte die Sonne erbarmungslos auf ihn nieder, dann setzte Wind ein, Naturgegebenheiten, die er so vorher nicht hätte trainieren können. Irgendwann spürte er, wie ihm die Kraft schwand. Fieber setzte ein und er wusste: “Wenn ich mich hinlege, komm ich nimmer auf die Füß. Ich muss auf die Füß bleiben.“ Sonst wäre die bleierne Müdigkeit gekommen. Er lief also weiter, wenn auch manchmal nur noch im Schritttempo.
Atmen ist Trumpf!
Mennel weist dem bewussten Atmen eine besonders wichtige Rolle zu. Mir als Yogafrau ging das Herz auf! Er hätte sich in den Schlaf geatmet und auch durch das Fieber. Soso, denke ich, da hört mal alle genau hin. Atmen wird ja gerne als albern abgetan, wir täten es ja sowieso alle ununterbrochen. Das sehe ich anders. Und er auch.
Mental, erzählt Jürgen, sei er immer schon 200 Kilometer voraus gewesen. Das sei wichtig, nach vorne schauen, glauben an das, was man erreichen will.
Die größten Glücksmomente erlebte er während der Etappen am Meer. Einen echten Energiekick habe ihm der Anblick der Bucht von Korinth verschafft, pures Adrenalin, pures Glück. Da wusste er: „Den Rest schaff ich auch noch!“ Er lag zu diesem Zeitpunkt bei einem Vorsprung von sieben oder acht Tagen. Nun galt es, die Konzentration zu halten.
Er hat es geschafft und wurde beim Zieleinlauf im Stadion von Athen mit jubelnden Menschen und dem obligatorischen Lorbeerkranz belohnt. Das alles sei ihm nicht so wichtig gewesen, sagt er. Es war toll, doch die Strecke und die Erlebnisse und die Erkenntnisse bei der Sache seien doch das allerwichtigste.
Schaffen wir das auch?
Wie bereitet man sich vor auf so ein Mammutprojekt? Wie hat er dafür trainiert, wird er später gefragt. Er sei viel barfuß im Wald gelaufen um die Gelenke zu entlasten. In einem Schwitzkittel habe er ein paar Halbmarathons absolviert, um sich an die Hitze im Süden zu gewöhnen. Anschließend sei er im kühlen Oktober in einem See zum Baden gegangen, das habe die Muskeln gelockert und ihn abgekühlt. Wir können es kaum glauben als er beiläufig hinzufügt, dass er zu der Zeit auch noch zu 80 Prozent gearbeitet habe. Hut ab, denken wohl alle. Ja, und man müsse natürlich wollen, fügt er hinzu. Ohne Ziel, ohne den Willen gehe es nicht. Der sportliche Ehrgeiz müsse schon dabei sein. Denn, das gibt er auch offen zu: auch er hüpft nicht jeden Morgen voller Motivation aus den Federn und freut sich auf das Training. „Jeder Mensch ist von Natur aus faul“, sagt er, und da sei er keine Ausnahme. Kaum zu glauben.
Den Ultramarathon von Heilbronn nach Athen hat er schließlich in 22 statt 30 Tagen geschafft. Ein Mann, ein Wort.
Lorbeerkränze sind vergänglich
Ob er den Lorbeerkranz noch habe, will jemand wissen. Er schmunzelt. Nein, sagt er, so ein Kranz sei vergänglich. Schuld daran seien die Maultauschen gewesen, die seinem siebenjährigen Sohn nicht schnell genug auf dem Tisch standen. Vor Zorn darüber habe er ihn zerrissen. So war das mit dem Lorbeerkranz.
Seine Botschaft: Bewegung heilt
Jürgen Mennel läuft weiter und verbreitet die simple Botschaft, dass Bewegung heilt. Unsere Zivilisationskrankheiten könnten damit so gut wie aufgehoben werden. Im nächsten Jahr will er während der Olympischen Spiele in Brasilien von Rio de Janeiro nach São Paulo laufen. Easy going, es sind ja nur etwas mehr als 500 Kilometer.
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Link: Jürgen Mennel
2 Comments
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