Warum Provinz und Big Bottle Party durchaus zusammen passen, weiß ich erst jetzt. Nach dem Ereignis im schönen Dillenburg in Hessens Hinterland.
Dillenburg? Ich gebe zu: bis vor kurzem wusste ich noch nicht mal, wo die immerhin knapp 23.200 Einwohner zählende Stadt überhaupt liegt. Und das, obwohl ich seit 13 Jahren in Frankfurt lebe und Dillenburg genau 93 Kilometer von hier entfernt liegt. Und zwar Richtung Westen, A 5 und dann A 45 und an der Ausfahrt Herborn abfahren. Ganz einfach, ganz schnell. Aber gut: warum bitte sollte ich auf die Idee kommen, nach Dillenburg zu fahren?
Wie alles begann…
Wir saßen mit unseren Freunden zusammen, beide ausgesprochene Liebhaber der guten Küche und des Genießens überhaupt. Kein Wunder in einem Haushalt, in dem der Mann gelernter Koch ist und heute einen übrigens sehr empfehlenswerten Schokoladenladen, den “Salon du Cacao” in Oberursel bei Frankfurt betreibt. Die beiden sind Stammgäste in Dillenburg, erzählen sie. Ja, wieso denn bloss, fragen wir sie, und dann lüften sie das Geheimnis.
Bartmann’s Haus
In Dillenburg soll es einen unumgänglichen, kulinarischen Lieblingsfleck geben, der weit über die Stadtgrenze hinaus bekannt sei. Es handelt sich um das Hotel und Restaurant mit dem unprätentiösen Namen “Bartmann’s Haus”. Dort steht eine Art “junger Wilder” am Herd und kocht offenbar so gut, dass unsere beiden Genießerfeunde sich einfach nicht mehr von Dillenburg lösen mögen. Sie sind dort bei jeder sich bietenden kulinarischen Gelegenheit und sonstigen Festivitäten wie Silvester oder Geburtstagen oder sie finden sonst einen Grund, der gut genug ist.
Und nun, nun sollen wir doch einfach mal mitkommen.
Big Bottle Party in der Provinz
Ein Wochenende im September, sonnig und warm, an dem einzig winzige Wattewölkchen das Blau des Himmels verzieren. Wir gleiten dahin auf der Autobahn A5, hören “Sonnentanz” im Radio und fühlen uns, als würden wir in den Urlaub entschwinden. Fast ist es ja auch so, eine kleine Flucht fürs Wochenende.
Dillenburg liegt im Lahn-Dill-Kreis, das Autokennzeichen lautet “LDK”, und wie der Name schon vermuten lässt, gurgelt in diesem Landstrich die Lahn vor sich hin auf ihrem Weg zum Rhein. Die Stadt war Stammsitz des oranischen Zweiges des Hauses Nassau, oberhalb des Ortes thront noch heute das Dillenburger Schloss, in dem heute ein Museum und das Standesamt beherbergt ist. Wanderer und Radfahrer kennen die Region vermutlich sowieso, denn hier verlaufen zahlreiche Wander- und Radwege wie der Rothaarsteig von Dillenburg nach Brilon und um Dillenburg herum verläuft der etwa 25 Kilometer lange „Oranierpfad“.
Das Bartmann’s Haus am Untertor des Ortes erwartet uns mit freundlich eingerichteten Zimmern und einem schnuckeligen Restaurant gegenüber des Hotels. Als wir eintreffen, finden sich gerade recht fein gemachte Menschen in der Hotel Lobby ein. Auf Nachfrage erfahren wir, dass die nicht zur Big Bottle Party sondern zu einem Abi-Nachtreffen gekommen sind. Wie lange mag das Abitur her sein?
Wir sind hier, um mit unseren Freunden und deren Freunden, die allesamt eingefleischte Fans der Kochkünste des “jungen Wilden” Ralf Dörrs und seiner Frau Fiona sind, die in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindende “Big Bottle Party” zu begehen: ein norditalienisch inspiriertes 4-Gang-Menü kredenzt von Ralf mit begleitenden Weinen des italienischenWeinguts Allegrini. Der Wein wird aus Magnumflaschen und größer ausgeschenkt, ist ja klar. Der Abend verspricht fröhlich zu werden. Und feucht, soviel steht fest.
Und wer ist noch so dabei? Hallo und Apéro.
Draußen vor der urigen Holztür des Fachwerkhauses nehmen wir an diesem lauen Herbstabend unseren Apéritif in Form eines Glases Roederer Champagner. Und lernen dabei die beinah eingeschworene Fangemeinde des Ralf Dörr kennen. Wir sind sozusagen “die Neuen”. Die sofort und ohne zu zögern mitten drin sind im Geschehen. Berührungsängste gibt es hier nicht. Der liebe Klaus, wie er selbst sagt bereits über 60 Jahre alt, prostet uns zu und sagt: “Bei allem Ernst des Lebens darf man doch das Leben nicht vergessen!” Zum Wohl!
Ralf, so erfahren wir, hat früher im 3-Sterne-Restaurant “Im Schiffchen” in Düsseldorf den Kochlöffel geschwungen. Der Mann weiß, was er tut. Auf die stressige Sterneküche hatte er irgendwann keine Lust mehr und beschloss, sich zusammen mit seiner Frau Fiona im Jahr 2003 mit dem “Restaurant Bartmann’s Haus” selbständig zu machen. Fiona kümmert sich passioniert um alles, was das Wohlbefinden abseits der Gaumenfreuden steigert. Inzwischen gehört zu dem Restaurant praktischerweise auch ein kleines, feines Hotel, ganz nach dem Motto: zuerst schlemmen, dann schlafen.
Die Schlemmerei kann beginnen!
Nach dem Apéritif werden wir von Fiona in die urgemütliche Gaststube geleitet. Helles Holz, dezente Dekoration, Weinflaschen, Kerzenlicht und weiß eingedeckte Tische strahlen Wärme und Behaglichkeit aus. Wir sitzen an einer langen Tafel gegenüber von einem alten, grünen Kachelofen in der “Guten Stube” und der erste Wein lässt nicht lange auf sich warten. Wir starten mit einem “2012 Solo Sole Vermentino, Poggio al Tesoro“. Fabio Re, der eigens angereiste Export Manager der Allegrini Azienda, stellt sich uns auf Italienisch beeinflusstes Englisch vor und wird uns auf unserer Weinreise mit Rat und Tat begleiten. Dazu wird der Gruß aus der Küche, hauchdünn geschnittenes US Beef sowie verschiedene Brotsorten mit Butter serviert.
Und 1 und 2 und 3 und 4…
Weiter geht es mit einem Salat von Babyspinat, Avocado und grünem Spargel mit Kabeljau. Hier wird klar: wir sind auf dem Land. Die Portionen fallen üppig aus, der Magen wird am Ende des Vergnügens ganz sicher nicht mehr knurren.
Zum herrlich cremigen Cappuccino-Süppchen von Pilzen mit einer fein-zarten Kaninchenroulade kosten wir einen “2010 La Grola” aus dem Veneto, und zwar die 30 Jahre Künstler Edition aus der Magnumflasche. Das Etikett hat ein Künstler angefertigt; es zeigt ein Bild einer Dame im 18. Jahrhundert, mit tiefem Dekolletee und einem, sagen wir, extrem lasziven Blick. “Heute hätte die vermutlich gar nichts mehr an,” raunt mein Tischnachbar Klaus mir zu. Nee, und wenn, dann sehr wenig. Außerdem sieht man auf dem Bild eine Krähe; denn: auf Italienisch heißt “Krähe” “La Grola”. Der Wein ist kräftig, jedoch nicht zu schwer, im Abgang entwickelt er marmeladige Aromen und im Nachhall entwickelt er sich mineralisch mit einer herrlich zartbitter-süßen Note.
Zum Hauptgang, Steak vom U.S. Tafelspitz in Trüffel Rotweinjus mit Artischocken und Kartoffelkräuterstampf, serviert uns Fabio einen “2010 Palazzo della Torre Imperial”: er duftet saftig und beerig, auch nach erdigen Noten, begleitet von dunklen Beeren, Pflaumen, einem Hauch roter Bete und rauchigen Schokonuancen. Er schmeckt weich mit üppigen Aromen dunkler Beeren, saftigen Nuancen und fein eingebundenem Tannin.
Satt? Macht nichts.
Langsam nähert sich bei mir der Punkt, an dem es schwierig wird, die einzelnen Duft- und Geschmacksnoten auseinander zu halten, geschweige denn, sie beschreiben zu können. Darin bin ich ohnehin eine echte Niete. Bis jetzt.
Den krönenden Weinabschluss bildet schließlich, zu einer Auswahl von kräftigen Käsesorten, der “2009 Allegrini Amarone Imperial”. Ein schwerer, kräftiger Wein, der köstlich schmeckt, mir jedoch gehörig die Schuhe auszieht. Er wird über 18 Monate in kleinen Holzfässern, anschließend sieben Monate in großen Holzfässern aus slowenischer Eiche ausgebaut und anschließend erfolgt die Flaschenverfeinerung über weitere 14 Monate. Ein Highlight, ohne Zweifel.
Zum allerletzten Schluss, nach dem Motto “Ohne Dolce geht es nicht”, haben wir tatsächlich noch einen gemischten Dessertteller zusätzlich bestellt. Und ich schwöre: es lag nicht daran, dass wir noch nicht satt gewesen wären! Hier lasse ich überhaupt gar nichts auf Ralf und sein Team kommen. Nein! Ausgeschlossen. Wir waren einfach Nimmersatte, die sich von Wein und Laune haben inspirieren lassen. Was scherte uns da schon der nächste Tag? Wie war das mit dem Leben?
Ohne Dolce wär’s kein Leben
Also Dessert: oh, ah, mhm, guuuuut, waaaaahn…. Probieren! Unbedingt! Egal, wie voll ihr seid. Besondere Empfehlung: Carameleiscrème und Himbeersorbet. Eine Wucht.
Mehr werde ich von diesem Abend nicht berichten. Irgendwann ist auch mal Schluss. Nur soviel: ich habe das Frühstück am nächsten Morgen versäumt und der Appetit derjenigen, die dort waren, hielt sich ebenfalls in Grenzen. Aber was soll es denn? Scheeee war’s, wie der Hesse sagt.
So jung kommen wir zwar nicht mehr zusammen, doch ganz sicher noch einmal an diesem Ort und in diesem Leben. Bald. Bartmann’s Haus – das Leben genießen. So ist das bei Ralf und Fiona.
LINKS zu Dillenburg, dem Bartmann’s Haus, dem Weingut Allegrini und einer Vinoteca, die beim nächsten Besuch getestet wird:
Hotel Restaurant Bartmann’s Haus
La Vinoteca di Colbon, Wetzlar
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